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Angebot statt Angst

Mittwoch, 04.10.2017, Universität, Forschen

Ulrike Bechmann und Kerem Öktem setzen sich mit der Ausprägung des Islam in Europa auseinander. Im Interview erklären sie, was die Integration fördern kann.

Der Islam wird bei uns immer stärker als Bedrohung wahrgenommen. Können Sie das aus Ihrer Perspektive nachvollziehen?
Kerem Öktem: Es gibt immer wieder Anschläge, die etwas mit dem Islam zu tun haben, es gibt die Probleme der Integration, es gibt in Europa mehr als eine Million Menschen, die aus Syrien geflüchtet sind. Das führt zu einer verängstigten Reaktion, die von Rechtspopulisten und einigen Medien ausgenutzt wird.
Ulrike Bechmann: Die Diskussion vom Rechtspopulismus in die Mitte gewandert ist. Das finde ich beängstigend.
Öktem: Das Problem ist, dass die Geflüchteten und MigrantInnen derzeit als Sündenböcke herhalten müssen. Die eigentlichen Ursachen aber dafür, dass sich viele Menschen benachteiligt fühlen, sind die Globalisierung und die neoliberale Wirtschaftsentwicklung. Da gibt es große gesellschafspolitische Herausforderungen, denen man sich stellen muss, aber das findet nicht statt. Deswegen kann man den Teil der Bevölkerung, der durch die Neoliberalisierung die Lebensperspektive verliert, wieder ins System integrieren, indem man ihn gegen die Neuankommenden aufwiegelt.

Wie kann man der Angst entgegenwirken?

Öktem: Indem man lernt und sich informiert. Die einfachsten Antworten gibt es, wenn man wenig weiß. Da kann man dann gleich alles Mögliche auf den Islam zurückführen, auch wenn es eigentlich um ganz andere Sachen geht, wie zum Beispiel soziale Herkunft, Bildung oder Ausgrenzungserfahrungen. Gegen die Angst wirkt am besten Wissen. Dafür braucht es Forschung und ein realistisches Verständnis der Risikosituation.
Bechmann: Selbst an der Universität begegnet man Unwissen und Vorurteilen. Wir wollen in öffentlichen Veranstaltungen wie in der Lehre verdeutlichen, dass MuslimInnen eine äußerst heterogene Gruppe sind, die man nicht undifferenziert betrachten darf.

Angesichts der Häufung von Anschlägen in Europa wird zunehmende Radikalisierung befürchtet. Wie groß schätzen Sie diese Gefahr ein?
Öktem: Es gibt Milieus in größeren Städten, wo sich radikale Ideen verbreiten, in Wien, auch in Graz. Radikalisierer mobilisieren marginalisierte Jugendliche, die hier nicht angenommen werden und sich nach Alternativen umsehen. Wir sprechen aber von einem minimalen Anteil, unter einem Prozent. Dennoch ist es ein Problem, das auf die ganze Gruppe und die ganze Gesellschaft erheblich ausstrahlt.
Man muss das auch in einem größeren Kontext sehen: Die Radikalisierung würde es nicht geben ohne die Verwerfungen im Nahen Osten, in Afghanistan, in Israel, in die die EU und die Vereinigten Staaten stark involviert sind. Der sogenannte Westen trägt Mitschuld an den dortigen Verhältnissen, und man darf sich nicht zu sehr wundern, wenn diese Konflikte nach Europa überlaufen. Man kann den Islamischen Staat hassen, aber wir müssen ihn als politische Bewegung sehen, deren Ziel es ist, die islamischen Länder von der Unterdrückung des Westens zu befreien. Vieles an der Terrorbewegung ist Mittelalter und schrecklich. Aber dahinter steht eine politische Position, mit der man sich auseinandersetzen muss und die man nur vor dem Hintergrund besonders der britischen und französischen Kolonialpolitik versteht.

Wie kann Integration gelingen?
Öktem: Man muss die Sache mit einem kühlen Kopf angehen. Natürlich gibt es Probleme in und mit der islamischen Welt. Die Rolle des Westens im Nahen Osten haben wir ja schon angesprochen. Sicherlich ist auch Radikalisierung Teil dieser größeren Problematik. Aber eine ausschließliche Fixierung auf diese Randerscheinungen ist fehlgeleitet. Es gibt die Lebensrealität von hunderttausenden Muslimen in Österreich, die vor allem eine gute Arbeit und ein gutes Leben wollen. Denen muss man ein klares Angebot machen: Ihr müsst euch ein bisschen anstrengen, aber dann gehört ihr wirklich dazu.
Bechmann: Zurzeit heißt es aber: Ihr müsst so sein wie wir, aber ihr seid nicht so wie wir. Es gibt keine positive Angabe, ab wann man dazugehört, ohne dass man sich assimilieren muss.
Öktem: Ja, so entsteht Marginalisierung, viel Platz für Integration bleibt da nicht mehr. Wir leben in einer Ambivalenz: Auf der einen Seite erwarten wir sogar Assimilation, auf der anderen gibt es keine klare Perspektive, dass man akzeptiert wird, selbst wenn man alles richtigmacht. Es ist wichtig, dass man Verständnis schafft. Aber schon das Kopftuch ist ein Reizauslöser: Man denkt, die Person, die es trägt, könnte eine Terroristin sein.

Sehen Sie eine Lösung in dieser Debatte?

Bechmann:
Es wird wieder einmal über den Kopf der Frauen bestimmt, buchstäblich. Es war immer schon so, es wird vorgeschrieben, was die Frauen zu tragen haben, welche Haartracht. Wir kommen immer wieder darauf zurück. Warum ist es nicht egal, was sie anhaben? Es wird eine gesellschaftliche Debatte auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. Das ist typisch. Frauen sind die, die sich anpassen müssen, nur weil das Kopftuch ein simples, sichtbares Zeichen ist und sein Ablegen angeblich die Unterdrückung beseitigt. Gesamtgesellschaftlich gesehen erleidet jede dritte Frau Gewalt in der Familie, das ist also kein ethisches oder gar rein religiöses Problem. In der aktuellen Debatte wird das Kopftuch isoliert betrachtet, und niemandem scheint aufzufallen, dass das erneut eine Fremdbestimmung über Frauen ist.
Öktem: Viele muslimische Frauen sind einer doppelten Fremdbestimmung ausgesetzt. Hier die, die sagen, das Kopftuch muss weg – mit dem Verweis auf Aufklärung, Emanzipation und Selbstbestimmung. Auf der anderen Seite die Konservativen in den islamischen Gemeinden, die sagen, das Kopftuch muss drauf. Frauen müssen sich zwischen diesen Polen positionieren, anstatt ihr eigenes Leben zu leben. Oft können sie es niemandem Recht machen. Das erschwert die Lage gerade für die, die sich in die Gesellschaft einbringen wollen. Was ist wichtiger: Ob eine Muslimin kein Kopftuch trägt und deswegen weniger auffällt oder ob sie studiert und teilhat an der Gesellschaft und an der Bildung und der Generierung von Wissen?
Bechmann: Gerade wenn es um angebliche Emanzipation geht, sollen Frauen von der Gesellschaft gezwungen werden, das Kopftuch abzunehmen. Selbst wenn sie es nicht freiwillig tragen, ist das für sie eine Möglichkeit, einen Beruf zu ergreifen und sich über diesen Weg zu emanzipieren. Der Druck ist also kontraproduktiv.
Öktem: Das Thema ist auch deswegen politisch so explosiv, weil in vielen Ländern der islamischen Welt islamische Kleiderordnungen forciert werden. In Ägypten ist es fast nicht mehr möglich, als muslimische Frau keinen Schleier zu tragen. Selbst in der Türkei gibt es einen dezidierten staatlichen und gesellschaftlichen Druck, ein Kopftuch zu tragen. Das sind dann natürlich ganz andere Rahmenbedingungen, die uns daran erinnern, dass der Kontext letztendlich wichtiger ist als das Stück Stoff.

Orten Sie Hürden bei der Integration? Etwa bei der Einhaltung des Ramadan?
Bechmann: Da wird wieder ein Phänomen herausgenommen und isoliert betrachtet. Kein Mensch fragt bei uns, ob sich eine Fastenkur mit dem Alltag vereinbaren lässt. Wer fastet, ist müde, aber auch, wer schlecht geschlafen hat. Es gibt hunderttausend Möglichkeiten, warum jemand nicht ganz leistungsfähig ist.
Öktem: Kaum etwas, das MuslimInnen im Alltag machen, ist ein wirkliches Problem für das Zusammenleben in Österreich. Es gibt aber einige Graubereiche, die ich kritisch sehe, etwa die Ganzkörperverschleierung oder das Bestreben einiger Eltern, Mädchen vom Turnunterricht fernzuhalten. Da müssen Lösungen gefunden werden.

Sehen Sie auch eine Bringschuld seitens der MuslimInnen, oder hapert es nur an unserer Gesellschaft?
Bechmann: Niemand definiert die Bringschuld offen. Niemand sagt: bis hierher, dann ist es ok, dann ist das Bringen genug. So hat man immer ein Defizit. Bringschuld hat auch die Gesellschaft, die ausgrenzt aufgrund von Namen, von Aussehen, von Herkunft, …
Ich kann nicht Deutschkurse streichen und sagen, ihr müsst Deutsch lernen. Ich kann nicht die Gelder für NGOs kürzen und sagen, ihr müsst euch integrieren. Außerdem wird unserer Bevölkerung nicht erklärt, dass wir dringend Zuwanderung brauchen.
Öktem: In einer Einwanderungsgesellschaft brauchen wir relativ klare Regeln, und die Neukommenden müssen diese kennen. Es ist klar, dass ein junger Mann aus Afghanistan, der außerhalb der Familie nie eine Frau ohne Tschador gesehen hat, bei uns im Freibad erst einmal herausgefordert ist. Aber warum steht er da überhaupt, ohne vorbereitet zu werden? Natürlich muss er dann auch eine Leistung bringen und lernen, dass hier vieles anders läuft als in Afghanistan. Wir können nur nicht erwarten, dass Menschen, die gerade aus dem Krieg und sehr konservativen Gesellschaften kommen, alle schon wissen, wie sie sich in Österreich verhalten sollen.

Welche Impulse haben Sie aus der Ringvorlesung mitgenommen?
Öktem: In vielen muslimischen Ländern gibt es zurzeit einen Trend zur Re-Islamisierung, deren Folgen kaum absehbar sind. In Deutschland sehen wir aber gerade Zeichen für das Entstehen einer progressiven islamischen Theologie, und das gibt auch Hoffnung für Österreich. Die Uni Wien und andere Institutionen sind im Prozess, eine islamische Theologie zu etablieren. Das schafft die Möglichkeit, dass progressive Traditionen innerhalb des Islams eine Heimstätte in Europa finden. Das ist eine wichtige Entwicklung, gerade jetzt, glaube ich. In der Wissenschaft tut sich also einiges. Wichtig ist, dass dies auch in der öffentlichen Debatte einen Widerhall findet.
Bechmann: Der Fortschritt der letzten Jahre in Deutschland ist enorm, die Hoffnung, dass sich diese islamische Theologie auch hier etabliert, berechtigt. Das Umfeld Universität wirkt dann auf die Gesellschaft zurück.

Südosteuropaforscher Kerem Öktem und Religionswissenschafterin Ulrike Bechmann haben im vergangenen Semester die internationale Ringvorlesung „Muslimische Lebenswelten“ organisiert. Eine gekürzte Druckversion des Interviews erscheint in der Oktober-Ausgabe der UNIZEIT.
 

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