Worauf bauen wir? - So lautet das Motto des Weltgebetstags 2021, den Frauen aus Vanuatu gestaltet haben. Vanuatu ist eine Gruppe von über 80 Südsee-Inseln. Zusammen bilden sie seit 1980 einen gemeinsamen Staat mit etwa 270.000 Einwohnern. In den Mittelpunkt ihres Gottesdienstes stellen die Frauen aus Vanuatu das Gleichnis vom Hausbau im Mätthäusevangelium (Mt 7,24-27). Angesichts der klimatischen und geografischen Situation ihrer Heimat ist das eine höchst spannende Textauswahl. Das Gleichnis stellt ja zwei Menschentypen gegenüber: Der Kluge baut sein Haus auf Felsen, und es trotzt allen Stürmen, hat Bestand. Der Törichte baut sein Haus auf Sand, und es wird vom Sturm zerstört, vergeht.
In der Situation von Vanuatu stellen sich damit viele Fragen. Erdbeben, Tsunamis und Zyklone bedrohen das Leben des Menschen immer wieder. 2015 hat der größte jemals beobachtete Zyklon namens "Pam" über 90 Prozent aller Gebäude in der Hauptstadt zerstört. Sind etwa die Menschen von Vanuatu töricht wie der Mensch, dessen Haus auf Sand gebaut ist und deshalb vom Sturm zerstört wird? Auch wenn die Vanuatu-Inseln überwiegend vulkanischen Ursprungs sind, ist doch vieles dort im buchstäblichen Sinne "auf Sand gebaut" und sogar der gesamte Staat ist vom Untergang bedroht - ganz wörtlich! Denn das durch den Klimawandel ausgelöste Ansteigen des Meeresspiegels wird zum Überfluten der Inseln und zum weitestgehenden Verschwinden von Vanuatu und anderen Inselstaaten führen. Dass der höchste Berg Vanuatus fast 2000 Meter hoch ist, kann da kein Trost sein.
In dieser prekären, die Existenz von Staat und Gesellschaft bedrohenden Situation nun ausgerechnet das Gleichnis vom Hausbau lesen? - Mit den vanuatischen Frauen müsste man antworten: Ja, gerade jetzt, genau diesen Text! Wenn dir alles unter den Füßen weggezogen wird, wenn der Boden, auf dem du stehst und lebst, zu verschwinden droht, gerade dann brauchst du einen festen Halt, der von äußeren Stürmen, Beben und Fluten nicht zum Einsturz gebracht werden kann. Dann braucht dein Leben ein Fundament, das auf Dauer trägt.
Mit ihrem Gottesdienst wollen die vanuatischen Frauen sich und andere dazu ermutigen, das Leben auf den Worten Jesu aufzubauen, die für sie der felsenfeste Grund für alles menschliche Handeln sind. Dies ist ein Glaubensakt, eine Hoffnung, die dann auch praktische Konsequenzen hat: Denn Jesu Worte nur zu hören ohne zu handeln, kann nicht heilbringend sein. Der Klimawandel bedroht Vanuatu und alle Pazifikstaaten ganz existentiell. Die Stürme werden immer heftiger und bedrohen den Lebensraum, nicht nur die Häuser, sondern die Felder und ihren Ertrag, das Meer und die Fischerei. Der steigende Meeresspiegel gefährdet die Menschen und ihre Kultur. Vanuatu will deshalb beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag die Industrienationen als Hauptverursacher des Klimaswandels zur Verantwortung ziehen - ein einmaliger Vorgang, der gerade geprüft wird. Es ist der Versuch, als direkt Betroffene die reichen Länder zum effektiveren Handeln gegen den Klimawandel zu drängen und auf Entschädigungen zu klagen. Das ist der juristische, vielleicht erfolglose Weg, um Gerechtigkeit zu erlangen.
Parallel dazu besteht die Hoffnung auf Mitmenschlichkeit und christliche Solidarität. Gerade in den reichen Ländern muss das Beten mit Vanuatu und den anderen Menschen in der Südsee ihren Schrei nach Gerechtigkeit, nach Aufmerksamkeit und Solidarität hörbar machen und zu einem neuen Handeln führen. Unser Titelbild zeigt eine vanuatische Frau, die sich bergend über ihr kleines Kind beugt, es hält und schützt. Der Wirbelsturm fegt über Frau und Kind hinweg. Eine Palme mit starken Wurzeln kann sich dme wilden Wind beugen, ohne zu stürzen, und schützt so die beiden bedrohten Menschen vor dem Zyklon. Im Hintergrund ist Feuer zu sehen und eine Vielzahl von Kreuzen für die Todesopfer des Sturms. In ausegloser Situation, in höchster Gefahr, so die Botschaft der Künstlerin, sind menschliche Zuwendung und schützende Liebe das, was wirklich zählt.
Und dabei geht es nicht nur um die Beziehung von Mutter und Kind! Es geht um nicht weniger als darum, weltweit zu einem neuen Handeln zu kommen, das allen Menschen eine Zukunft ermöglicht und im Sinne der größten Gerechtigkeit, die Jesus predigt, ein Lebensfundament zu finden, das trägt. Es geht darum, einen neuen Lebensstil zu entwickeln, der nicht im Gebrauch und Verbrauch die Lebensgrundlagen aller zerstört. Es geht darum, im Glauben die Gerechtigkeit zwischen den Menschen und zwischen Natur und Mensch so stark zu machen, dass ein neues Fundament für ein "Haus auf dem Felsen" entsteht. Matthäus benennt diesen Felsen als die Lehre Jesu und heute mahnt sie uns mit größtmöglicher Dringlichkeit zu nachhaltigem und lebensfreundlichem Handeln.
Ausgerechnet mit Vanuatu das Gleichnis vom Hausbau lesen? Ja, unbedingt!
Ulrike Bechmann und Joachim Kügler