"Die Heilung des Gelähmten" - so wird gewöhnlich die Erzählung betitelt, mit der das fünfte Kapitel des Johannesevangeliums beginnt. Das Internationale Komitee des Weltgebetstags der Frauen (WGT) hatte als Thema die Aufforderung Jesu "Steh auf und geh" gewählt, und Frauen aus Simbabwe übernahmen es, dazu die Liturgie zum Weltgebetstag 2020 zu schreiben. Sie sahen darin eine Botschaft, die für sich wichtig war.
"Steh auf, nimmt dein Bett, und geh", so kennt man die übliche Übersetzung. "Nimm deine Matte" lag den Frauen aus Simbabwe näher und entspricht wohl auch mehr der Realität zur Zeit Jesu. Es gibt noch eine weitere Erzählung - in Mk 2 - wo Jesus diese Worte zu einem Gelähmten spricht. Liest man Joh 5 aber genau, dann fällt auf, dass der Mensch, den Jesus heilt, nicht unbedingt gelähmt sein muss. Der Mensch ist krank, es geht um die Verletztlichkeit von Menschen - und damit um das fragile Menschsein überhaupt.
Von daher weitet unsere Interpretation den Blick und stellt die Heilungsgeschichte in den Hoizont der sogenannten dis/ability studies. Wörtlich meint das "Unfähigkeits-/Unmöglichkeitsstudien". Der Trennungsstrich innerhalb des des dis/ability zeigt an, dass alle Menschen abilities, "Fähigkeiten", besitzen und dass Einschränkungen und Behinderungen nur ein Aspekt ihres Menschseins sind, wenn auch kein unwichtiger. Aus dieser Perspektive Heilungsgeschichten Jesu zu lesen, führt zu besonderen Einsichten, die hier vorgestellt werden.
Das vorliegende Heft hat drei Teile, wurde aber gemeinsam konzipiert. Joachim Kügler wirft einen genauen Blick auf die ganz eigene Theologie des Johannesevangeliums, die sich von der Theologie der anderen Evangelien unterscheidet, und erklärt die Eigenart der johanneischen "Zeichen" (griech. semeia), wie die "Wunder" Jesu dort heißen. Ulrike Bechmann legt unter diesem Vorzeichen die Erzählung aus und liest sie mit den Ansätzen der dis/ability studies. Kudzai Biri, Religionswissenschaftlerin aus Simbabwe, befragte Frauen ihrer Heimat, wie und ob sie Joh 5 lesen. Sie stellt diese Ergebnisse neben die Liturgie zum Weltgebetstag (WGT), die von Frauen des ökumenischen Weltgebetskomitees in Simbabwe geschrieben ist. Damit weitet sich der Blick auf die kirchliche Landschaft in Simbabwe. Mehr zu diesem wunderbaren Land in tiefer Krise bietet das Material zur Vorbereitung - die Adresse findet sich am Ende des Heftes. Frau Maria Lackner ist zu danken für das Schreiben von Texten und die Literatursuche.
"Steh auf, nimmt deine Matte und geh!" - Die Simbabwerinnen verstehen in ihrem Gottesdienst diese Aufforderung durchaus wörtlich und politisch. In einem Land, das durch Machtmissbrauch und Korruption ins Elend hineinregiert wurde, rufen sie dazu auf, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Die Zeit des Hoffens und Wartens, der unendlichen simbabwischen Geduld ist vorbei. Jetzt ist es Zeit, aufzustehen und die Verhältnisse im Vertrauen auf Jesus aktiv zum Besseren zu wenden!
Unser Titelblatt zeigt einen Ausschnitt des Bildes zum Weltgebetstag der Frauen: RISE! STEH AUF! Die Hoffnung, die Kraft, die Stärke, der Aufbruch - das soll keine Verachtung von behinderten oder kranken Menschen ausdrücken, sondern politische Kritik formulieren. Es geht um die Überwindung der Apathie, um zu einer besseren Welt zu gelangen! Die Frauen aus Simbabwe fühlen sich von Jesus und seiner heilenden Kraft genau dazu ermutigt!
Ulrike Bechmann, Kudzai Biri, Joachim Kügler
Der Link zur Neuerscheinung finden Sie hier unter dieser Adresse des Katholischen Bibelwerkes